„X-ray“ ist den spekulativen Elementen in der Beziehung zwischen dem Menschen und seinem Körper gewidmet.
Zum einen wird die frühe Embryonalentwicklung der Wirbeltiere betrachtet: Menschen und ihre Wirbeltierverwandten springen zwischen den Jahrmillionen der Evolution ihrer Vorfahren und entwickeln zeitweise Fischaugen, Kiemenbögen, Reptilienmuskeln und einen Schwanz. Diese Entwicklungsphasen sind seit Darwin bekannt und öffnen der modernen Wissenschaft weiterhin weite Türen für Spekulationen. Die postnatale Lebensform scheint noch verhandelbar zu sein, der künftige Lebensraum noch nicht festgelegt, die Zeitrechnung im Uterus auf geologischer Tiefenzeit basierend.
Andererseits betrachtet „X-ray“ etruskische Votivgaben: Im antiken Mittelitalien wurden vor den Tempeln auch Opfergaben in Form von KeramikabgĂĽssen menschlicher Organe verkauft. Anatomische Votivgaben stellen ein bestimmtes Körperteil dar und drĂĽcken den Wunsch oder die Dankbarkeit fĂĽr dessen Heilung aus. Diese Tradition findet sich weltweit in verschiedenen Kulturen und wird seit Jahrtausenden bis heute praktiziert. Aufgrund des Verbots menschlicher Sezierungen in der römischen Antike war das anatomische Wissen ĂĽber das Innere des Körpers stark eingeschränkt. Dies fĂĽhrte zu abstrakten organischen Votivgaben, die Archäolog*innen heute Rätsel aufgeben; einige Repliken dieser sind in der Videoinstallation zu sehen. Die Forscherin Helen King, die sich auf Gender Studies und die Geschichte des Körpers spezialisiert hat, schreibt diesen Funden eine „gezielte Unbestimmtheit“[1] zu. Viele ihrer Kolleg*innen sehen die Organe als Darstellungen der Gebärmutter, und einige spekulieren sogar, dass die Opfergaben eine sekundäre Funktion als Musikinstrumente hatten, da einige eine schallende Murmel enthalten. – Sarah Doerfel
[1]Helen King, „When is a womb not a womb?“, The Votives Project, https://thevotivesproject.org/2017/02/17/when-is-a-womb-not-a-womb/, zuletzt aufgerufen am 16.05.2024.