Edition, 1/5
Florian Huths kĂŒnstliche Natur: Landschaft zwischen RealitĂ€t und Inszenierung
Ganz im Sinne Leon Battista Albertis blicken die Betrachter*innen mit Florian Huths âRural Coloursâ aus den RĂ€umen der Artothek hinaus. Inmitten des âfinestra apertaâ entfaltet sich eine vorgeblich lĂ€ndliche Szenerie. Die im Zentrum der Fotografie platzierte Giebelfront des hier abgelichteten, grĂ€ulich verwitterten GebĂ€udes nimmt nahezu den gesamten Bildraum ein. Kahle BĂ€ume im Hintergrund strecken sich gen Himmel, ein erdiger schmaler Weg fĂŒhrt vom linken zum rechten Bildrand parallel an der Scheune vorbei. Die quer ĂŒber die hölzerne Fassade gespannte leuchtend rote Plane bildet einen auffĂ€lligen QualitĂ€tskontrast zu den gedeckten Tönen der ĂŒbrigen Komposition. An den blechernen Fassadenabschluss gelehnte FuttersĂ€cke in Rot und Cyanblau korrespondieren farblich mit dem leeren, rechteckigen Banner und wirken durch ihre Anordnung feinsĂ€uberlich orchestriert. Was bereits ironisierend im Titel anklingt, beschleicht die Betrachter*innen nun ganz konkret: die lĂ€ndliche Idylle ist gestört, die Umgebung wirkt unnatĂŒrlich, gar inszeniert. Begreift man das vorliegende Werk als Landschaftsdarstellung â wenngleich als stark reduzierte bzw. ganz im Sinne der Architekturfotografien von Bernd und Hella Becher als Fragment einer Landschaft â so eröffnen sich zahlreiche kunsthistorische und semantische Wechselwirkungen.
Angetrieben durch die Industrialisierung durchlaufen Landschaftsdarstellungen Anfang des 19. Jahrhunderts einen Transformationsprozess, der in abgewandelter Form bis heute GĂŒltigkeit besitzt. GleichermaĂen in Museen und Reiseprospekten verleiten sie uns fĂŒr gewöhnlich zum eskapistischen TrĂ€umen: Horizonte, die in endlose Weiten fĂŒhren, pittoreske Bergketten ausgeschmĂŒckt mit satten, grĂŒnen TĂ€lern, wahlweise auch hĂŒgelige Landschaften und dicht bewachsene Felder die zu einer Melange aus GrĂŒn-, Blau-, Beige- und Brauntönen verschmelzen. Als ProjektionsflĂ€chen fĂŒr SehnsĂŒchte nach UrsprĂŒnglichkeit, Ruhe und Entschleunigung bilden sie einen romantisierten Gegenentwurf zu der als entfremdend wahrgenommenen VerstĂ€dterung und der damit einhergehenden, als kĂŒnstlich konzipierten Urbanisierung. Gerade weil die scheinbare NatĂŒrlichkeit der gemalten Landschaften einer genaueren ĂberprĂŒfung â aufgrund ihrer tatsĂ€chlichen Konstruiertheit â oftmals nicht standhalten kann, lĂ€sst sich das Spannungsfeld von Natur und KĂŒnstlichkeit als verbindendes Element zu Florian Huths âRural Coloursâ ausmachen. VerstĂ€rkt wird die Wechselwirkung der beiden GegensĂ€tze durch Huths Einsatz der Fotografie. Die ihr bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zugeschriebene rein mimetische Wiedergabe der Wirklichkeit scheint im vorliegenden Werk bewusst unterlaufen zu werden. Zwar enthĂ€lt das Werk keinerlei Hinweise auf einen Eingriff durch den KĂŒnstler, doch die torpedierte Erwartungshaltung hinsichtlich der âlĂ€ndlichen Farbenâ fĂŒhrt dennoch zu einer Verunsicherung hinsichtlich der AuthentizitĂ€t des Gesehenen. In seiner Uneindeutigkeit oszilliert das Werk folglich zwischen den Polen der dokumentarischen und konzeptuellen Fotografie.
Auch innerhalb des eigenen Ćuvres greift Huth mit dem 2011 geschaffenen Werk zukĂŒnftigen Entwicklungslinien vorweg. So folgt etwa die mehrfach ausgezeichnete Fotoserie âHĂ€user/G7â (2015) Ă€hnlichen formalĂ€sthetischen Strukturen. Darin dokumentiert der KĂŒnstler sorgfĂ€ltig die baulichen VerĂ€nderungen und Eingriffe, die im Zuge des G7-Gipfels 2015 in Elmau vorgenommen wurden. Den beiden kĂŒnstlerischen Positionen gemein ist die scheinbare Umwertung der baulichen Umgebung. GewissermaĂen als zweite Natur tritt sie nun an die Stelle der imaginierten unberĂŒhrten Landschaften. Nicht die Bauwerke selbst gelten fortan als kĂŒnstlicher Fremdkörper, sondern jeglicher Eingriff der ihre architektonisch fixierten âNatĂŒrlichkeitâ verĂ€ndert. Auch in der aktuellen Ausstellung Huths âReal World Assetsâ im CAS (Center for Advanced Studies) der LMU MĂŒnchen (15.05.â31.07.2025), welche in Zusammenarbeit mit Barbara Herold entstanden ist, wird dieser Themenkomplex weitergefĂŒhrt â diesmal jedoch in Form digitaler, postnaturaler RealitĂ€ten.
Mit âRural Coloursâ hinterfragt Florian Huth auf subtile Art und Weise unser VerstĂ€ndnis von Natur und NatĂŒrlichkeit. Zwischen Dokumentation und Inszenierung, RealitĂ€t und Erwartung, fĂŒgt sich das Werk in kunsthistorische Abbildungstraditionen ein und verweist zugleich auf hochaktuelle Fragestellungen. Gerade im AnthropozĂ€n â jenem Zeitalter, in dem der Mensch zum entscheidenden Einflussfaktor auf die geologische und ökologische Entwicklung des Planeten geworden ist â scheint eine kritische Reflexion ĂŒber unser NaturverstĂ€ndnis und den sich daraus ergebenden Verantwortlichkeiten unerlĂ€sslich.
Florian Huth wird 1980 in SaarbrĂŒcken geboren. Seit 2006 befindet sich sein Lebens- und Schaffensmittelpunkt in MĂŒnchen. Nachdem der KĂŒnstler seine Ausbildung zum Fotografen abschlieĂt, studiert er an der Hochschule MĂŒnchen Fotodesign. 2019 beendet er die von Olaf Metzel geleitete Bildhauerei Klasse an der Akademie der Bildenden KĂŒnste MĂŒnchen als MeisterschĂŒler.
TEXT: Adrian Kunder, 2025.