Kunstverleih fĂŒr Alle
Grafik, Websitegestaltung: schwarze Strichzeichnung. Torso eines menschÀhnlichen, stilisierten Hunds; hÀlt ein kugelförmiges Geflecht aus ineinanderlaufenden SchlÀuchen in seinen HÀnden. Der neutrale Gesichtsausdruck ist mit einem geraden Strichmund angedeutet; abstehende schwarze Schlappohren und eine rundliche, schwarze Nase geben der Zeichnung einen humorvollen, scherzhaften Charakter.

Ausstellungsraum fĂŒr zeitgenössische Kunst aus MĂŒnchen
Foto: Ansicht der Ausstellung
Fotografie quadratisch. Giebelfront eines Lagerhauses. Auf der grauen, ausgeblichenen Holzfassade ist ein karminrotes, planen-artiges Banner aufgebracht. Auf dem Rasen und an die Hauswand gelehnt sind vier große, rote und blaue SĂ€cke mit Hundefutter gelehnt.
— Credits: Florian Huth, Foto: Max Geuter

Florian Huth: Rural Colours

KĂŒnstler*innen
Florian Huth
Jahr
2011
Materialien
Pigment-Print auf HahnemĂŒhle-Papier
Maße
Bildmaße: 81 x 75,5 cm
Rahmenmaße
Rahmenmaße: 97 x 92 cm

Beschreibung

Edition, 1/5

Florian Huths kĂŒnstliche Natur: Landschaft zwischen RealitĂ€t und Inszenierung

Ganz im Sinne Leon Battista Albertis blicken die Betrachter*innen mit Florian Huths „Rural Colours“ aus den RĂ€umen der Artothek hinaus. Inmitten des ‚finestra aperta‘ entfaltet sich eine vorgeblich lĂ€ndliche Szenerie. Die im Zentrum der Fotografie platzierte Giebelfront des hier abgelichteten, grĂ€ulich verwitterten GebĂ€udes nimmt nahezu den gesamten Bildraum ein. Kahle BĂ€ume im Hintergrund strecken sich gen Himmel, ein erdiger schmaler Weg fĂŒhrt vom linken zum rechten Bildrand parallel an der Scheune vorbei. Die quer ĂŒber die hölzerne Fassade gespannte leuchtend rote Plane bildet einen auffĂ€lligen QualitĂ€tskontrast zu den gedeckten Tönen der ĂŒbrigen Komposition. An den blechernen Fassadenabschluss gelehnte FuttersĂ€cke in Rot und Cyanblau korrespondieren farblich mit dem leeren, rechteckigen Banner und wirken durch ihre Anordnung feinsĂ€uberlich orchestriert. Was bereits ironisierend im Titel anklingt, beschleicht die Betrachter*innen nun ganz konkret: die lĂ€ndliche Idylle ist gestört, die Umgebung wirkt unnatĂŒrlich, gar inszeniert. Begreift man das vorliegende Werk als Landschaftsdarstellung – wenngleich als stark reduzierte bzw. ganz im Sinne der Architekturfotografien von Bernd und Hella Becher als Fragment einer Landschaft – so eröffnen sich zahlreiche kunsthistorische und semantische Wechselwirkungen.

Angetrieben durch die Industrialisierung durchlaufen Landschaftsdarstellungen Anfang des 19. Jahrhunderts einen Transformationsprozess, der in abgewandelter Form bis heute GĂŒltigkeit besitzt. Gleichermaßen in Museen und Reiseprospekten verleiten sie uns fĂŒr gewöhnlich zum eskapistischen TrĂ€umen: Horizonte, die in endlose Weiten fĂŒhren, pittoreske Bergketten ausgeschmĂŒckt mit satten, grĂŒnen TĂ€lern, wahlweise auch hĂŒgelige Landschaften und dicht bewachsene Felder die zu einer Melange aus GrĂŒn-, Blau-, Beige- und Brauntönen verschmelzen. Als ProjektionsflĂ€chen fĂŒr SehnsĂŒchte nach UrsprĂŒnglichkeit, Ruhe und Entschleunigung bilden sie einen romantisierten Gegenentwurf zu der als entfremdend wahrgenommenen VerstĂ€dterung und der damit einhergehenden, als kĂŒnstlich konzipierten Urbanisierung. Gerade weil die scheinbare NatĂŒrlichkeit der gemalten Landschaften einer genaueren ÜberprĂŒfung – aufgrund ihrer tatsĂ€chlichen Konstruiertheit – oftmals nicht standhalten kann, lĂ€sst sich das Spannungsfeld von Natur und KĂŒnstlichkeit als verbindendes Element zu Florian Huths „Rural Colours“ ausmachen. VerstĂ€rkt wird die Wechselwirkung der beiden GegensĂ€tze durch Huths Einsatz der Fotografie. Die ihr bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zugeschriebene rein mimetische Wiedergabe der Wirklichkeit scheint im vorliegenden Werk bewusst unterlaufen zu werden. Zwar enthĂ€lt das Werk keinerlei Hinweise auf einen Eingriff durch den KĂŒnstler, doch die torpedierte Erwartungshaltung hinsichtlich der ‚lĂ€ndlichen Farben‘ fĂŒhrt dennoch zu einer Verunsicherung hinsichtlich der AuthentizitĂ€t des Gesehenen. In seiner Uneindeutigkeit oszilliert das Werk folglich zwischen den Polen der dokumentarischen und konzeptuellen Fotografie.

Auch innerhalb des eigenen ƒuvres greift Huth mit dem 2011 geschaffenen Werk zukĂŒnftigen Entwicklungslinien vorweg. So folgt etwa die mehrfach ausgezeichnete Fotoserie „HĂ€user/G7“ (2015) Ă€hnlichen formalĂ€sthetischen Strukturen. Darin dokumentiert der KĂŒnstler sorgfĂ€ltig die baulichen VerĂ€nderungen und Eingriffe, die im Zuge des G7-Gipfels 2015 in Elmau vorgenommen wurden. Den beiden kĂŒnstlerischen Positionen gemein ist die scheinbare Umwertung der baulichen Umgebung. Gewissermaßen als zweite Natur tritt sie nun an die Stelle der imaginierten unberĂŒhrten Landschaften. Nicht die Bauwerke selbst gelten fortan als kĂŒnstlicher Fremdkörper, sondern jeglicher Eingriff der ihre architektonisch fixierten ‚NatĂŒrlichkeit‘ verĂ€ndert. Auch in der aktuellen Ausstellung Huths „Real World Assets“ im CAS (Center for Advanced Studies) der LMU MĂŒnchen (15.05.–31.07.2025), welche in Zusammenarbeit mit Barbara Herold entstanden ist, wird dieser Themenkomplex weitergefĂŒhrt – diesmal jedoch in Form digitaler, postnaturaler RealitĂ€ten.

Mit „Rural Colours“ hinterfragt Florian Huth auf subtile Art und Weise unser VerstĂ€ndnis von Natur und NatĂŒrlichkeit. Zwischen Dokumentation und Inszenierung, RealitĂ€t und Erwartung, fĂŒgt sich das Werk in kunsthistorische Abbildungstraditionen ein und verweist zugleich auf hochaktuelle Fragestellungen. Gerade im AnthropozĂ€n – jenem Zeitalter, in dem der Mensch zum entscheidenden Einflussfaktor auf die geologische und ökologische Entwicklung des Planeten geworden ist – scheint eine kritische Reflexion ĂŒber unser NaturverstĂ€ndnis und den sich daraus ergebenden Verantwortlichkeiten unerlĂ€sslich.

Florian Huth wird 1980 in SaarbrĂŒcken geboren. Seit 2006 befindet sich sein Lebens- und Schaffensmittelpunkt in MĂŒnchen. Nachdem der KĂŒnstler seine Ausbildung zum Fotografen abschließt, studiert er an der Hochschule MĂŒnchen Fotodesign. 2019 beendet er die von Olaf Metzel geleitete Bildhauerei Klasse an der Akademie der Bildenden KĂŒnste MĂŒnchen als MeisterschĂŒler.

TEXT: Adrian Kunder, 2025.